Nürnberger Ketzerprozesse

gegen Kindermordgegner

EINE KETTE VON RECHTSBEUGUNGEN

II.4.i. Revision

 

Landgericht Nürnberg-Fürth                                       

          01.02.1999

Rechtsantragsstelle -

 

Aktenzeichen: 8 Ns 404 Js 43127/97

 

Gegenwärtig: Raum, Rechtspfleger

 

Niederschrift

 

in der Strafsache gegen Dr. Johannes Lerle, Brüxer Str. 25, 91052 Erlangen, geboren 01.06.52

 

wegen Beleidigung

 

erscheint: der Verurteilte ausgewiesen durch Bundespersonalausweis und erklärt:

 

Ich stelle folgende Revisionsanträge:

 

1. Das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 11.3.98, (Az: Cs 1064/97) in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.11.98 (Az: 8 Ns 404 Js 43127/97) wird aufgehoben..

2. Der Angeklagte wird freigesprochen.

Hilfsweise beantrage ich Zurückweisung des Verfahrens an das Landgericht Nürnberg-Fürth zur erneuten Hauptverhandlung und Entscheidung.

 

Zur Revisionsbegründung trage ich vor:

 

Ich rüge die Verletzung materiellen Rechts.

 

Weiterhin beruht das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes (§ 337 Abs 1 StPO), so daß ich die Aufhebung dieses Urteils und Freispruch sowie Kostentragung der Staatskasse beantrage.

 

1.) Die beiden Äußerungen des Beschwerdeführers, die vom Landgericht als strafbare Beleidigung bewertet wurden ("Ein Berufskiller gibt sich mit Straffreiheit nicht zufrieden" und "Dr. Freudemann foltert - schlimmer als im KZ") stellen keine rechtswidrige Beleidigung dar, da die in ihnen liegende angebliche Verletzung der Ehre Dr. Freudemanns durch § 193 StGB i.V. mit Art. 5 Abs. 1 GG sowie Art. 4 Abs. 1 GG gerechtfertigt ist.

 

2.) Dem Beschwerdeführer ging es mit seinem Flugblatt darum, der Öffentlichkeit bewußtzumachen, daß es Menschen sind, die durch die als "Abtreibung" verharmloste Tätigkeit Dr. Freudemanns getötet werden. Um das deutlichzumachen, war es notwendig, über die Tötung ungeborener Kinder in möglichst der gleichen Weise zu sprechen, wie über die Tötung bereits geborener Menschen berichtet wird. Und da ist es durchaus üblich, den Namen des Täters zu nennen.

 

Daß die gegen die Tätigkeit Dr. Freudemanns gerichteten öffentlichkeitswirksamen Aktionen durchaus geeignet sind, Menschenleben zu retten, gibt sogar Dr. Freudemann indirekt zu. Denn auf einer Veranstaltung des Nürnberger Männerforums äußerte er, daß die Frauen durch diese "verunsichert" werden würden. Da der Beschwerdeführer durch sein Flugblatt Menschenleben retten wollte, hätte die Rechtsgüterabwägung vor allem zwischen dem Recht auf Leben und dem Ehrenschutz vorgenommen werden müssen.

 

3.) Wenn das Landgericht in dem Versuch, Kindern im Mutterleib das Leben zu retten, kein berechtigtes Interesse im Sinne von § 193 StGB erkennt, so liegt das an dessen gedanklichem Ausgangspunkt. Der gedankliche Ausgangspunkt des Gerichts, daß der medizinische Eingriff des Dr. Freudemann nur Embryonen und nicht lebende Menschen betreffe und daß der Beschwerdeführer dies "genau wüßte" und "flugs den Menschen mit der Vereinigung der mütterlichen Eizelle mit der väterlichen Samenzelle entstehen" lasse (S.11 d.U.), um mit dieser "trickreichen Variante" erreichen zu wollen, Dr. Freudemann ungestraft als "Berufskiller" bezeichnen zu können, ist völlig unhaltbar. Nach christlichem Verständnis beginnt das menschliche Leben genau zu diesem Zeitpunkt. Dies ergibt sich aus Bibelstellen wie Ps 139,13.16 und Lk 1,41.44. Aber auch das BVerfG erkennt an, daß bereits der Embryo spätestens ab dem 14. Tag nach der Empfängnis menschliches Leben darstellt und unter dem Schutz der Rechtsordnung steht1 Nicht der Beschwerdeführer, sondern die 8. Strafkammer des  Landgerichts Nürnberg-Fürth schafft sich somit eine eigene Rechtsordnung, wenn sie Embryonen nicht als lebende Menschen anerkennen will. Geradezu grotesk ist in Anbetracht dessen der Vorwurf des Gerichts an den Beschwerdeführer, daß er "ganz genau wüßte", daß Embryonen keine lebenden Menschen seien und dies nur deshalb behaupte, um Dr. Freudemann ungestraft beleidigen zu können. Gleiches gilt für die Behauptung, der Beschwerdeführer wüßte, daß er die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten habe (S.12 d.U.). Dies ist eine unzutreffende und durch nichts belegte Unterstellung, die sogar geeignet ist, Zweifel an der Unparteilichkeit der Kammer aufkommen zu lassen. Auch die weiteren Ausführungen des angefochtenen Urteils: "Der Angeklagte nimmt sein Eintreten für ein Abtreibungsverbot zum Anlaß, um gegen die Einzelperson Dr. Freudemann bewußt vorgehen zu können, weil dieser nicht nur Abtreibungen vornimmt, sondern auch vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der in Bayern vorgenommenen ein schränkenden Regelung klagt" (S.12 d.U.), ist nicht geeignet zu begründen und nachzuweisen, daß es dem Beschwerdeführer um die vorsätzliche Kränkung und Schmähung Dr. Freudemanns geht. Im Gegenteil spricht gerade aus dieser Argumentation des Gerichts, daß es dem Beschwerdeführer um den Kampf gegen den Kindermord geht und er Dr. Freudemann deshalb angegriffen hat, weil er in der Nähe des Wohnsitzes des Beschwerdeführers tausendfach Kinder im Mutterleib tötet und darüber hinaus einer der Wortführer der "Abtreibungslobby" ist und eine deren Interessen entsprechende Klage vor dem BVerfG erhoben hat. Ein Grund für den Beschwerdeführer, Dr. Freudemann als Person zu schmähen, ist in keiner Weise ersichtlich. Es geht dem Beschwerdeführer vielmehr darum, auf die vielfachen Kindermorde hinzuweisen und die Öffentlichkeit hiergegen aufzurütteln; die damit verbundene Ehrminderung Dr. Freudemanns ist lediglich die in Kauf genommene unvermeidliche Nebenfolge, aber nicht die Absicht und das Ziel des Beschwerdeführers. Insofern liegt es völlig neben der Sache, wenn die Kammer ausführt: "Durch diese eindeutigen Formulierungen gibt der Angeklagte zu erkennen, daß ihm der Streit über das Abtreibungsverbot in der konkreten Situation zweitrangig ist. In erster Linie kommt es ihm darauf an, Dr. Freudemann an den Pranger zu stellen, ja moralisch zu vernichten" (S.12 d.U.).

 

Ebensowenig läßt sich die Schmähungsabsicht mit den weiteren Ausführungen des Gerichts begründen, daß dies "aus der Vorgehensweise des Angeklagten" folge (S.12 d.U.), indem er Dr. Freudemann und seine Arbeitsstelle in dem Flugblatt nennt, vor seiner Arbeitsstelle demonstriert und die Flugblätter auch in Briefkästen in Nürnberg und Stein wirft. Denn nach Ansicht des BVerfG hat der Äu ßernde nicht nur das Recht, überhaupt seine Meinung kundzutun. Er darf hierfür auch diejenigen Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungsäußerung verspricht.2 Dann aber ist es ausgeschlossen, aus den Umständen der Meinungsäußerung eine Schmähungsabsicht des Äußernden herzuleiten, weil durch eine solche Bewertung und Schlußfolgerung der grundrechtliche Schutz sogleich wieder zunichte gemacht würde.

 

Schließlich ist es eine unzutreffende Unterstellung, wenn die Kammer behauptet, der Beschwerdeführer habe den Begriff "Berufskiller" nur deshalb anstelle des Begriffes "Mörder" gewählt, weil das Landgericht Nürnberg-Fürth ihm dies in seiner einstweiligen Verfügung untersagt habe. Denn zum einen hat der Beschwerdeführer sein Flugblatt mit dem Begriff Berufskiller bereits am 05.09.1997 verteilt, während die Zivilprozesse erst im Oktober 1997 stattfanden. Zum anderen wäre aber auch ansonsten damit nicht dargelegt und bewiesen, daß es dem Beschwerdeführer nicht um die Sache, sondern um die persönliche Beleidigung und Schmähung Dr. Freudemanns gegangen wäre.

 

Die zusammenfassende Beurteilung des Gerichts: "Das primäre Ziel des Angeklagten war, wie der Inhalt des Flugblattes eindeutig ergibt, die Ehrkränkung des verhaßten Dr. Freudemann" (S.13 d.U.), mit der die Strafbarkeit der Äußerungen des Beschwerdeführers begründet wird, ist somit eine durch nichts bewiesene Behauptung und Unterstellung.

 

 Das Gericht läßt dabei völlig die neueste Entscheidung des BVerfG, das "Soldatenurteil", außer betracht, wonach Schmähkritik in der politischen Auseinandersetzung nur ausnahmsweise anzunehmen ist und in der Regel auf die sog. "Privatfehde" beschränkt bleibt.3 Und es ist wohl unnötig zu erwähnen,  daß es sich bei der Auseinandersetzung des Beschwerdeführers mit Dr. Freudemann nicht um eine "Privatfehde" handelt.

 

Selbst das Landgericht Nürnberg-Fürth ging in seinem Urteil vom 20.10.1997 (Stadt Nürnberg ./. Lerle) ausdrücklich davon aus, daß es dem Beschwerdeführer um die Sache ging und nicht darum, die Stadt Nürnberg zu schmähen.4 Auch das weitere Urteil des LG-Nürnberg-Fürth vom 20.10.1997 in Sachen Freudemann ./. Lerle geht nicht von einer derartigen Absicht gegenüber Dr. Freudemann aus.5

 

Auch sei an dieser Stelle noch einmal die Aussage des BVerfG im "Soldatenurteil" zitiert, mit der das BVerfG Schmähkritik verneint: "Den Beschwerdeführern ging es erkennbar um eine Auseinandersetzung in der Sache, und zwar um die Frage, ob Krieg und Kriegsdienst und die damit verbundene Tötung von Menschen sittlich gerechtfertigt sind oder nicht".6 Nichts anderes gilt bei den Äußerungen des Beschwerdeführers hinsichtlich des als "Abtreibung" verharmlosten Kindermordes.

 

4.) Das angefochtene Urteil setzt sich in keiner Weise mit der im Juli eingereichten Berufungsbegründung des Beschwerdeführers auseinander. Doch anstatt die unbeachtet gebliebenen Argumente hier zu wiederholen, sei auf die Berufungsbegründung zurückverwiesen.

 

5.) Auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit, durch das die Äußerungen des Beschwerdeführers ebenfalls gerechtfertigt sind, geht das angefochtene Urteil in keiner Weise ein. Dabei ist die Erkenntnis, daß schwangere Frauen lebende Menschen in ihrem Körper tragen, nicht nur eine biologische Binsenweisheit, sondern zugleich biblische Lehre (Ps 139,13.16; Lk 1,41.44). Wenn dem Beschwerdeführer vorgeworfen wird, er würde "feststehende Begriffe wie >Mensch< und >Embryo<" "verdrehen" (S.12 d.U.), so bedeutet dies, daß ihm die Verbreitung biblischer Lehre zum Vorwurf gemacht wird.

 

Biblische Lehre zu verbreiten war und ist in der Tat das Anliegen des Beschwerdeführers. Deshalb ruft er auf einem Drittel des verfahrensgegenständlichen Textes die Sünder, einschließlich Dr. Freudemann, zur Umkehr zu Jesus Christus auf. Die Sünde kann nie abscheulich genug dargestellt werden, damit die Umkehr zum Retter Jesus Christus als um so dringlicher empfunden wird. Und Sünde ist vor allem etwas Konkretes, z. B. wenn Kinder im Mutterleib ermordet werden.

 

Doch die Vokabel "Mord" wird umgangssprachlich nicht nur für die vorsätzliche Tötung von Menschen gebraucht, wie z. B. der Gewerkschaftsslogan "Akkord ist Mord" zeigt. Um deutlichzumachen, daß beim sog. Schwangerschaftsabbruch ein Mensch getötet wird, war es notwendig, einen "Spezialisten für ambulante Schwangerschaftsabbrüche" als Killer zu bezeichnen. Die Vokabel "Mörder" aus dem Gesetzestext des § 211 StGB hatte der Beschwerdeführer in seinem Flugblatt bewußt vermieden, um den Eindruck zu vermeiden, er würde sich zur Strafbarkeit der Tötungshandlungen Dr. Freudemanns äußern. Nicht Aussagen über Strafbarkeit sind das Anliegen des verfahrensgegenständlichen Flugblatts, sondern die Feststellung, daß der sogen. Embryo ein Mensch ist. Ist der sogen. Embryo aber ein Mensch, dann ist Dr. Freudemann mit der Folgerichtigkeit einer mathematischen Beweiskette ein Berufskiller.

 

Die Überzeugung, daß der sog. Embryo ein Mensch ist, unterfällt als Bibellehre dem Grundrecht der Glaubensfreiheit. Der Beschwerdeführer sieht sich in der Tradition der als Ketzer diffamierten Prediger, die nicht bereit waren, sich von irgendjemandem verbieten zu lassen, auch mißliebige Bestandteile des Gotteswortes zu verkündigen.  

 

6.) Zusammenfassend sei unabhängig von den juristischen Feststellungen dieser Revisionsbegründung anzumerken, daß es sowohl für das Rechtsstaatsprinzip und die Rechtssicherheit als auch für den öffentlichen Frieden und die Akzeptanz unserer Justiz verhängnisvoll wäre, wenn auch nur der Eindruck entstehen könnte, daß Meinungsäußerungen in der öffentlichen Auseinandersetzung nicht nach dem gleichen Maßstab bewertet werden, sondern nach unterschiedlichen Maßstäben je nach dem politischen und weltanschaulichen Hintergrund oder Zweck der Äußerung, indem etwa bei Äußerungen von Pazifisten davon ausgegangen wird, daß es dem Äußernden um die Sache geht, während bei entsprechenden Äußerungen von Lebensrechtlern unterstellt wird, es gehe ihnen um die Schmähung des Angegriffenen.

 

7.) Die Urteilsausführungen zum Strafmaß sind ebenfalls zu beanstanden, wenn es dort heißt: "Zulasten (sic) des Angeklagten geht die massive Art der Vorgehensweise, welche erheblich über dem ‘Normalfall’ einer Beleidigung liegt" (S.14 d.U.). Denn es wird hierbei völlig verkannt, daß der Beschwerdeführer im Rahmen der Ausübung seiner Grundrechte gehandelt hat. Im übrigen setzt sich das Urteil in keiner Weise kritisch mit der Strafmaßbegründung des erstinstanzlichen Urteils auseinander, in welcher das Strafmaß mit Ausführungen wie "Der Schritt von der verbalen Kriegsführung mit allen nur möglichen Schlägen unter die Gürtellinie bis zu einem echten Kreuzzug mit brennenden Scheiterhaufen ist leider nur allzu schnell getan" begründet wurde (AG Nürnberg vom 11.03.1998 (45 Cs 43127/97), S.12).

 

8.) Das angefochtene Urteil des LG Nürnberg-Fürth beruht auch auf den Rechtsverletzungen, die in dieser Revisionsbegründung dargestellt wurden. Denn wäre die Kammer von einem zutreffenden Verhältnis von Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit auf der einen und Persönlichkeits- und Ehrenschutz auf der anderen Seite ausgegangen, so hätte sie zu einem Freispruch für den Beschwerdeführer gelangen müssen.

 

Da eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht nicht notwendig ist, weil ausschließlich um Rechtsfragen gestritten wird, und das Revisionsgericht folglich in der Sache selbst entscheiden kann, hat es nach alledem auf den beantragten Freispruch zu erkennen.

 

Fußnoten:

1 BVerfGE 39,1 ff., 59; 88,203 ff., 252

2 BVerfG NJW 1995,3303

3 BVerfG NJW 1995,3303 ff.,3304

4 LG Nürnberg-Fürth 17 O 8635/97, S.9

5 LG Nürnberg-Fürth 17 O 8640/97

6 BVerfG NJW 1995,3303 ff., 3307