Nürnberger Ketzerprozesse

gegen Kindermordgegner

EINE KETTE VON RECHTSBEUGUNGEN

II.1. Zivilprozesse

Sowohl die damals CSU-regierte Stadt Nürnberg als auch Dr. Freudemann beantragten, daß in einer einstweiligen Verfügung mir die Verbreitung verschiedener Aussagen des Flugblattes „Kindermord im Klinikum Nord“ untersagt wird. Es fanden zwei voneinander zu unterscheidende Zivilprozesse statt, die lediglich terminlich zusammengefaßt worden waren.

II.1.1. Verfahren der Stadt Nürnberg gegen Johannes Lerle

II.1.1.a. Schriftsatz des Rechtsanwaltes A. Rümler

 

Alfred L. Rümler, Ludwig-Erhard-Straße 13,

90762 Fürth/Bay.,

Tel.: (0911) 771722, Fax.: (0911) 771723

 Fürth, den 20.10.97

Bitte stets angeben: Lerle ./. Klinik

 

Landgericht Nürnberg-Fürth, Fürther Str. 110,

90429 Nürnberg

 

In den Verfahren auf Antrag einer einstweiligen Verfügung Dr. Freudemann ./. Lerle,

Az: 17 O 8640 / 97

Stadt Nürnberg ./. Lerle Az: 17 O 8635 / 97

geschätzter Streitwert: 30.000,- DM (beide Verfahren)

zeige ich die Vertretung des Antragsgegners an.

Namens und im Auftrag des Antragsgegners, wird beantragt,

die beiden Verfahren des Herrn Dr. Freudemann, Az: 17 O 8640/97 und der Stadt Nürnberg, Az: 17 O 8635/97, jeweils gegen Herrn Lerle, zu verbinden,

sowie

den Antrag der Antragsteller zurückzuweisen.

 

Begründung:

 

Der Antragsteller macht von seinem Grundrecht der freien Meinungsäußerung nach Art. 5 Grundgesetz Gebrauch.

Dabei ist ihm bewußt, daß dieses Recht auch seine Schranken hat, z.B. im vierzehnten Abschnitt des Strafgesetzbuches. Leider ist es ihm jedoch nicht möglich, seine Meinung zu äußern, ohne nicht zugleich 9aufgrund des Themas, um das es geht, einen verschärften Wortgebrauch anzuwenden.

Das Thema Abtreibung, eine Bezeichnung die der Antragsgegner übrigens bewußt vermeiden möchte, wird in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion der Bundesrepublik nun schon seit Jahrzehnten in nicht bedeutend minder scharfer Auseinandersetzung geführt, wie jeder weiß.

 "Die verschiedenen Aussagen, deren Verbreitung der Prozeßgegner mir verbieten lassen will, kann man in folgendem Satz zusammenfassen: Dr. Freudemann foltert Kinder zu Tode.

 Gegen diesen Massenmord habe ich nur ein einziges Mittel, nämlich das Wort. Ich habe lediglich beschrieben, was dabei geschieht, wenn die "Schwangerschaft abgesaugt" wird.

Bei meinen Aktionen gegen den Kindermord habe ich mich keiner gewalttätigen Mittel bedient. Ich habe keine Eisenbahngleise oder Straßen unterhöhlt. Weder mit Benzinflaschen noch mit dem Skalpell habe ich Menschen getötet. Ich habe lediglich das Wort gebraucht, das Wort, das unter die Haut geht und bewirkt, daß die angesprochenen Beteiligten vom Töten Ungeborener ablassen oder sich beleidigt fühlen und die Justiz bemühen, um solche Stimmen wie die meine zum Schweigen zu bringen."

Was die Bezeichnung "Berufskiller" angeht, beruft sich der Antragsgegner auf den ehemaligen Verfassungsrichter Prof. Dr. Geiger, welcher schreibt: Ein Postulat, es gäbe im Rechtsstaat solche, die über fremdes Leben eines Unschuldigen verfügen dürfen, und solche, die sich diesem Verfügungsanspruch unterwerfen müssen, es gäbe also in unserer Gesellschaft von Rechts wegen Killer und Opfer, zerstört das Recht und den Rechtsstaat in seiner Wurzel (Schriftenreihe der Juristenvereinigung Lebensrecht e.V. Nr. 9, S. 30; zitiert in Ludwig Mayer, § 218: Begräbnis zweiter Klasse für den Rechtsstaat. In: Medizin und Ideologie 3, 1997, S.31).

 "Zwar nennt Prof. Geiger keine Namen. Aber offensichtlich werden Personen, die Kinder im Mutterleib töten, als Killer bezeichnet. Wenn Dr. Freudemann Kinder im Mutterleib killt, dann darf er sich nicht wundem, wenn er als "Killer" bezeichnet wird.

 Mit der Bezeichnung "Berufskiller" ist nichts über die Strafbarkeit seines Tuns ausgesagt. In öffentlichen Veranstaltungen, in den Medien und in Karlsruhe beschuldigt Dr.- Freudemann den Freistaat Bayern, ihn in seiner Berufsausübung - er meint das Töten von Menschen - zu behindern.

In einem Faltblatt schreibt er selbst, daß in seiner Praxis "die Schwangerschaft abgesaugt" wird. Wenn er den Müttern in einem Faltblatt anbietet, deren Schwangerschaft abzusaugen, dann wende ich mich ebenfalls in einem Faltblatt an dieselben Mütter und zeige ihnen, was dabei geschieht, wenn die "Schwangerschaft abgesaugt" wird.

Dabei wird ein Mensch getötet, es wird ein Kind zu Tode gefoltert. Diese Information, die Dr. Freudemann beharrlich verschweigt, die möchte ich denen geben, die erwägen, "ein Kind wegmachen" zu lassen."

Der Antragsgegner wendet sich somit an eine aktiv an der politischen und rechtlichen Diskussion um das Thema Abtreibung in aller Öffentlichkeit beteiligte Person. Der Antragsgegner nimmt hierbei wohl unstreitig berechtigte Interessen wahr. Es geht lediglich um die Frage, ob ihm aus der Form seiner Äußerungen ein Vorwurf gemacht werden kann.

"Doch warum habe ich Dr. Freudemann namentlich genannt? Warum habe ich mich nicht auf die abstrakte Aussage beschränkt: "Abtreibung ist Mord"? Ich habe deshalb derartige abstrakte Formulierungen vermieden, weil sie mehrdeutig sind. Ich erinnere an den Satz der Gewerkschaften "Akkord ist Mord". Ebenso mehrdeutig ist der Satz "Abtreibungsmediziner sind Mörder". Seine Mehrdeutigkeit ist vergleichbar mit der Mehrdeutigkeit des Satzes "Soldaten sind Mörder". Diesen Satz kann man in dem Sinne verstehen, daß mein wehrpflichtiger Nachbar ein Mörder sei, man kann ihn aber auch in anderer Weise verstehen.

Beim Verfassen des Flugblattes habe ich mich bemüht, mehrdeutige Formulierungen zu vermeiden. Deshalb habe ich nicht geschrieben "Abtreibung ist Mord". Sondern ich habe keinen Zweifel gelassen, daß ich einen Mord meine, bei dem es einen Mörder gibt."

Seinen Widerspruch gegen den Antrag der Antragsteller hat der Antragsgegner bereits im Termin vom 06.10.97 dargelegt. Die oben in Anführungszeichen aufgeführten Äußerungen entstammen einer schriftlichen Zusammenfassung des Antragsgegners anläßlich einer mit dem Unterzeichneten im Rahmen des Mandantengesprächs ausgiebig geführten Diskussion.

Die Äußerungen des Antragsgegners vermögen in ihrer Radikalität nachdenklich zu stimmen ob der inzwischen eingekehrten Gewöhnung an den Abtreibungskompromiß, den zu finden der Gesetzgeber hilflos und das Bundesverfassungsgericht genötigt ist. Wer weiß schon, welches Abtreibungsrecht in zehn Jahren gültig sein wird.

Das Gericht wird sich die Entscheidung nicht leicht machen können.

Ein gesondertes Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin Stadt Nürnberg ist nicht gegeben. Bei getrennter Prozeßführung könnte die Rechtshängigkeit des weiteren Prozesses entgegenstehen.

 

gez. Rümler

Rechtsanwalt